In der Wochenzeitung Die Zeit vom 6. Juli 2023 wurde in einem kritischen Beitrag mit dem Titel „Auseinander!“ dafür plädiert, Soziales und Ökologie getrennt zu denken und die Idee kritisiert, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz würden automatisch Hand in Hand gehen. Auf diesen Artikel hat Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa wie folgt in einem Leserbrief geantwortet (Die Zeit hat am 20. Juli einen Ausschnitt des Briefes abgedruckt):

Doch, Soziales und Klimaschutz sind zwei Seiten einer Medaille

„Die soziale und die ökologische Frage muss man zusammen denken.“ – Dieser Satz, so schreibt Anna Mayr (ZEIT 29/2023) „klingt formidabel“, er ist aber „Quatsch, wenn man mal darüber nachdenkt.“ Wir bei der Caritas haben ausführlich nachgedacht. Und wir sehen bestätigt: Soziales und Klimaschutz sind zwei Seiten einer Medaille, ganz so wie es Papst Franziskus 2015 gesagt hat.

Menschen, die arm sind oder alt, krank oder krisengeplagt, sind nicht nur in den Ländern des globalen Südens die ersten Opfer der ökologischen Katastrophen, sie sind es auch bei uns. Ja, auf Klimakrisen lässt sich Anatole Frances Satz vom „Gesetz in seiner erhabenen Gleichheit, das es Armen und Reichen gleichermaßen verbietet, unter Brücken zu schlafen“ uneingeschränkt übertragen. Wer seine Villa an der Ahr bewohnte, hätte von der Flut ebenso weggeschwemmt werden können, wie derjenige, der ein kleines Häuschen am Flussufer besaß. Interessanterweise liegen die meisten Villen – egal ob im Ahrtal oder anderswo – auf den geschützten Anhöhen und verfügen über Schotten, die sich bei hineinströmenden Fluten automatisch schließen. Ihre Eigentümer haben eine Versicherung, die den Wiederaufbau leicht macht und ein Sparkonto, von dem die heftig umworbenen Handwerker schnell einen Vorschuss erhalten können. Es sind die Wohnungen der Armen, die schlecht isoliert sind, es sind die Alten, die zuerst den Hitzetod sterben – auch in Mitteleuropa.

Das alles zu konstatieren, heißt keinesfalls, die Reichen in Sicherheit wiegen. Sie sind (relativ lange) in Sicherheit, denn sie können Kuchen statt Brot essen, wenn letzteres knapp wird. Klimaschutz kann nicht warten, bis die schattigen Bauplätze auch für die Wohlhabenden unerschwinglich werden. Wir (Wohlhabenden) müssen uns solidarisch darauf verpflichten, nicht nur uns selbst, sondern unsere Erde als Ganze vor den Klimakatastrophen in Sicherheit zu bringen.

Immer dann, wenn es um existentielle Krisen geht, macht Reichtum einen existentiellen Unterschied. Deswegen ist in solchen Situationen besonders greifbar, was unser Grundgesetz mit dem schlichten Satz meint: „Eigentum verpflichtet“. Wir müssen neu und dringlich die Frage stellen, wie wir in Zeiten der Klimakrise Eigentumsrechte gestalten. Das geht über die Frage weit hinaus, ob das Deutschlandticket einen sozial gestaffelten Preis haben und ob das Dienstwagenprivileg abgeschafft werden soll. Oder ob und wie wir bei der ökologischen Gebäudesanierung die Förderung von Sozialwohnungen priorisieren. So wichtig all diese Fragen sind!

Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat es auf den Punkt gebracht: „Mehr Allmende wagen!“ Die Eigentumsrechte an öffentlichen Gütern – und dazu zählen saubere Flüsse und weniger CO2 – müssen als Gemeinschaftsrechte gestaltet werden, für die wir gemeinsam Verantwortung tragen. Wer heute das Klima schützt, schützt zuerst die Lebensgrundlagen der Ärmsten und die Lebensperspektiven der vulnerablen Gruppen. Das ist Klimasozialpolitik, wie wir sie meinen: Soziale und ökologische Fragen zusammengedacht!

 

Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes