In einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 13. September 2021 fordert Caritas-Präsident Peter Neher Verbote für eine gerechte, wirksame und schutzbietende Klimapolitik. Den gesamten Gastbeitrag in voller Länge lesen Sie hier.
Das große Tabuwort des Wahlkampfs ist „Verbote“. Wehe, Wähler oder Wählerin wittern hinter der Parteiprogrammatik die Absicht, irgendwas zu verbieten, dann hätten wir ihre Stimme verloren – so scheinen die meisten Kandidatinnen und Kandidaten zu denken. Sie winden und wenden sich, machen aus Verboten „ordnungspolitische Maßnahmen“ oder schließen sie regelrecht aus.
Diese Verbotsscheu bezieht sich zumeist auf die Klimapolitik, wohlbemerkt. In anderen Bereichen ist es offensichtlich nicht so verpönt, Verbote auszusprechen – CDU und SPD wollen verfassungsfeindliche Organisationen verbieten, die Union die Prostitution von Schwangeren, die FDP Operationen an intergeschlechtlichen Kindern… Aber wenn es ans klimafeindliche Konsumverhalten geht – Autofahren, Reisen, Heizen, Essen – ist Verbot ein Schimpfwort. Auch die Grünen nehmen das Wort zuletzt ungern in den Mund.
Bitte mehr davon!
Ich für meinen Teil freue mich, in einem Land zu leben, in dem Produkte und Handlungen verboten sind, welche mir und anderen schaden können. Es ist verboten, ohne Führerschein zu fahren und mittlerweile auch ohne Autogurt – lebensschützende Regeln. Dass es verboten ist, seine Kinder von der Schule fernzuhalten oder arbeiten zu lassen, finden wir selbstverständlich. All diese Verbote sind ein Ausdruck dafür, dass der Staat es mit dem Schutz und Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger ernst meint. Auch die bisherige Bewältigung der Corona-Pandemie ging nur mit Ver- bzw. Geboten.
Warum sollte dieser Grundsatz nicht in der Klimapolitik gelten? Die Klimakrise sorgt – nicht mehr nur in fernen Ländern, wie dieser Sommer uns schmerzhaft vor Augen geführt hat – für Katastrophen, die Existenzen vernichten. Sie verringert die Lebenserwartung von Menschen. Sie beraubt künftige Generationen einer lebenswerten Zukunft. Und gerade die Ärmsten sind ihr ausgeliefert. Deshalb ist Klimaschutz ein Caritas-Thema – die anwaltschaftliche Arbeit im Namen der Schwächsten ist schließlich unser Metier.
Schutz vor der Klimakrise
Ich will, dass der Staat seinen Teil dazu beiträgt, mich, künftige Generationen und gerade die Vulnerabelsten vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Ich will, dass er dafür alle Instrumente nutzt, die er zur Verfügung hat. Auch Verbote. Und zur Not auch Verbote von Sachen, die auf dem ersten Blick praktisch oder preiswert sind; die Teil unseres Lebens sind; die die meisten Menschen genießen. So würde es sicherlich Sinn machen, dass Öl- und Gasheizungen verboten werden. Verbrennermotore bei Neuwagen. Die Intensivtierhaltung. Die Verbrennung von Kohle. Innerdeutsche Flüge.
Letzteres würde mich als jemanden, der (in Normalzeiten) oft zwischen Berlin und Freiburg, Hauptsitz der Caritas, unterwegs ist, vermutlich mehr treffen als andere Verbotsmaßnahmen. Trotzdem sag ich: Verbieten! Dann stellt sich für mich die Frage Flug oder Bahn nicht mehr.
An diesem Beispiel wird klar: Aus den Verboten entsteht für die Politik die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es gute, erschwingliche klimafreundlichere Alternativen gibt. In diesem Fall: dass die Bahnverbindung Freiburg-Berlin perspektivisch weniger als sieben Stunden braucht, dass ich einigermaßen sicher sein kann, pünktlich ans Ziel zu kommen – und das zu einem vernünftigen Preis, wenn ich kein Vielfahrer bin.
Respekt vor den Wählerinnen und Wählern
Viele Menschen – ich wage sogar zu sagen, die meisten – wissen, was man im Interesse des Klimas tun und lassen sollte. Das reicht im Alltag aber nicht aus. Es braucht den passenden gesetzlichen, „ordnungspolitischen“ Rahmen – die Verbote und Gebote. Der Staat darf sich in einer so wichtigen Frage wie der Klimakrise nicht seiner Verantwortung entledigen, indem er alle Entscheidungen auf den Bürger und die Verbraucherin abwälzt.
„Verbote“ gegen „Freiheit“ auszuspielen, wie das getan wird, ist insofern verkehrt, als dass die Klimakrise längst unsere Freiheit einschränkt, unsere Gesundheit, unser ganzes Leben. Welche Freiheit hatten die Menschen, die in Sizilien zuletzt unter Temperaturen von 50 Grad wochenlang das Haus nicht verlassen konnten? Wie ist das an Ahr und Erft – mitten in Deutschland?
Die Politik scheint zu glauben, Wahlentscheidungen würden von Fragen abhängen wie „Welche Partei erlaubt mir, weiterhin mit 200 Stundenkilometern zu rasen?“ oder „Welche Partei stellt sicher, dass ich für 29 Euro nach Mallorca fliegen kann?“ Das zeugt von erstaunlich wenig Respekt vor der Wählerschaft. Ich auf jeden Fall traue den Menschen ein bisschen mehr Weitsicht zu und bin sicher, dass fundierte Verbote Akzeptanz finden. Vorausgesetzt, die Politik sorgt für den entsprechenden Rahmen und schenkt uns reinen Wein ein.
Peter Neher
Präsident Deutscher Caritasverband e. V.
Dieser Gastbeitrag ist zuerst erschienen in der gedruckten Ausgabe der Frankfurter Rundschau von Montag, 13. September 2021. Den gesamten Text können Sie auf der Website der Frankfurter Rundschau lesen oder in der gedruckten Ausgabe lesen.
Wer ist “der Staat”? Wer finanziert das, was der Caritas Präsident will? Wir Christen als Steuerzahler. Was der Caritas Präsident will, zahlt auch der Hartz IV Empfänger in der Schlange der Tafeln. Das sogenannte Klimageld ist ein Blatt im Wind der Inflation, die Jeden einzelnen, aber besonders die Armen, noch ärmer und nur wenige Reicher macht.
Die Klimakrise ist von denen, die Landraub betreiben , Staudämme bauen und das Wasser der Kontinente monopolisieren verursacht. Nun treibt man die Opfer dieses Terrors in die Slums der Städte wo sie noch mehr Leid erfahren. Eine Steuer in Deutschland nutzt nichts.
Diejenigen, die das verursachen, sitzen in den Schaltzentralen in Peking, Moskau, Er Riad, Ankara und Teheran. Reden sie mit denen. Machen sie den armen Rentnern, die ihre Sponsoren sind kein schlechtes Gewissen, denn das wäre das Werk von falschen Propheten.
Lieber Herr Heim, vielen Dank für ihren Kommentar. Die Klimakrise ist in der Tat ein globales Phänomen, dass natürlich nicht alleine von einem Land gelöst werden kann. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass ein wohlhabendes, innovatives Land wie Deutschland nicht so weiter machen kann wie bislang. Um Druck auf die von ihnen angesprochenen Schaltzentralen aufzubauen, muss Deutschland ambitionierten und sozial gerechten Klimaschutz voran bringen. Das Klimageld – also die Pro-Kopf-Rückvergütung der CO2-Bepreisung – ist hierbei ein guter und gerechter Ansatz, weil – und das ist wissenschaftlich erwiesen – besonders einkommensschwache Menschen davon profitieren. Aber natürlich kann das Klimageld nur eine Stellschraube sein. Es bedarf noch vieler weiterer Maßnahmen, damit Klimapolitik künftig nicht nur Wohlhabenden und Einkommensstraken nutzt. Das Schlimmste wäre, jetzt nichts zu tun – denn die Folgekosten für alle Steuerzahler*innen (siehe Kosten zum Wiederaufbau nach der Juli-Flut in NRW und Rheinland-Pfalz) sind immens.