In der öffentlichen Diskussion fühlt es sich oft so an, als würde Klimaschutz im ganz Großen gemacht – in den Chemie-, Kraft- oder Stahlwerken dieser Welt – oder im ganz Kleinen – mit jeder individuellen Entscheidung gegen einen Flug oder für das Fahrrad, gegen das Schnitzel aus Kalbfleisch oder für den veganen Auflauf. Dass viele Akteure eine Rolle beim Klimaschutz spielen können und welchen durchaus spürbaren Part die Sozialbranche dabei hat, wird häufig übersehen.

Die Caritas betreibt in Deutschland 25.000 Einrichtungen und Dienste, beschäftigt knapp 700.000 Menschen, versorgt, betreut, pflegt und berät 13 Millionen Menschen im Jahr. Einige dieser Menschen kommen in unseren Diensten vorbei, andere suchen wir zuhause auf. Sehr viele leben in unseren Einrichtungen, dauerhaft (im Pflegeheim, in Einrichtungen für behinderte Menschen oder für Jugendliche), für einige Tage oder Wochen (in der Rehaklinik, im Krankenhaus, in der Kurklinik), oder sie nehmen tagsüber stundenweise unsere Angebote wahr (in der Kita, in der Tagespflegestätte). Wir heizen, kochen, waschen (Bettwäsche, Arbeitskleidung), fahren (Krankenwagen, ambulante Pflegedienste, Essen auf Rädern).

Unsere Hausaufgaben bei der Dekarbonisierung

Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes

Die Sozialbranche ist ein starker Hebel im Kampf gegen die Klimakrise. Und wir wollen diesen Hebel nutzen. Als Anwalt für die Armen und die Ausgegrenzte wissen wir, dass die Schwächsten am meisten unter der Klimakrise leiden, hier und weltweit. Für sie eintreten heißt auch, unsere eigenen Hausaufgaben bei der Dekarbonisierung machen.

Es ist ermutigend, dass das Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung der Gesundheitsbranche ein kleines Unterkapitel widmet. Dass ein Krankenhausbett im Jahr so viel Energie verbraucht wie zwei Eigenheime, ist dort zu lesen. Am Beispiel des St. Franziskus-Hospitals Münster wird deutlich, was das heißt: Im Jahr 2021 hat das Haus 2.887 Tonnen CO2 ausgestoßen, so viel wie ein Dorf mit 400 Einwohnern. Fünf Jahre zuvor war es noch fast doppelt so viel. Von 2016 bis 2021 konnte das Krankenhaus den CO2-Ausstoß insgesamt um 42 Prozent reduzieren.

Ein Projekt des Bundesumweltministeriums hat im Franziskus-Hospital diesen Change-Prozess ermöglicht: Klik Green. Bundesweit wurden zwischen Mai 2019 und April 2022 in 250 Krankenhäusern Klimamanagerinnen und -manager ausgebildet; gefördert wurde die Entwicklung von passgenauen Energiesparmaßnahmen für den Gesundheitsbereich. In einer Klinik wurden die Fenster ausgetauscht, in einer anderen ein Recycling-System für OP-Klammernahtgeräte entwickelt, nochmal woanders eine Lüftungsanlage vom 24-Stunden-Betrieb genommen und auf eine bedarfsorientierte Nutzung umgestellt…

Im St. Franziskus-Hospital wurden im Rahmen des Projektes das Abfallmanagement optimiert, Kreislaufsysteme statt Einweg etabliert und die Speisenversorgung unter anderem durch die Reduktion von Fleisch nachhaltiger gestaltet. Darüber hinaus bezieht das Krankenhaus seit diesem Jahr zertifizierten grünen Strom.

Ersparnis von 500 Tonnen CO2 durch Einsatz eines anderen Narkosegases

Eine andere wichtige Stellschraube waren die Narkosegase. Das bislang verwendete Inhalationsanästhetikum ist in vielen Kliniken das Mittel der Wahl; es ermöglicht schnell eine passende Narkosetiefe ebenso wie ein rasches Wiedererwachen der Patientinnen. Das Treibhauspotenzial dieses Medikaments ist aber rund 20-mal so hoch wie das anderer Inhalationsanästhetika. Um den ökologischen Fußabdruck im OP zu verringern, verwenden Anästhesie und operative Intensivmedizin im Franziskus Hospital nun ein anderes Narkosegas, welches von der medizinischen Potenz gleichwertig ist. Dadurch spart die Klinik jährlich ca. 500 Tonnen CO2-Äquivalent ein – ein riesiger Beitrag. Die Widerstände, die es zu überwinden galt, waren nicht unbeachtlich. Ein Mehr an Klimaschutz gegen ein Weniger an Patientensicherheit aufzuwiegen, wäre kaum durchsetzbar gewesen. Die Alternativen waren gründlich zu prüfen, Ärztinnen und Intensivpfleger mussten gewonnen werden.

Neben diesen Umstellungen liegt das größte Klimaschutzpotential im Krankenhaus in der Energieeffizienz der Immobilien. Im Franziskus Hospital sind die ältesten Gebäudeteile 165 Jahre alt. Lüftungsanlagen auszutauschen oder Fenster zu sanieren, zeigt große Wirkung. Dafür werden Förderungen in Anspruch genommen, deren Beantragung zeitintensiv ist, ohne die die Umsetzung der Maßnahmen wirtschaftlich aber nicht möglich wäre.

Wollen die Krankenhäuser die von der Bundesregierung gesteckten Klimaziele für 2030 erreichen (eine Senkung der CO2-Emissionen um 65% im Vergleich zum Jahr 1990), sind bis dahin allein in NRW 7,1 Milliarden Euro an Investitionen notwendig, hat das hcb Institut for Health Care Business ausgerechnet. Dabei entfallen 6,3 Milliarden Euro auf die energetische Sanierung der Gebäude.

Vernetzung und Best-Practice finanzieren keine Wärmedämmung   

Annika Wolter ist Geschäftsführerin des St. Franziskus Hospitals in Münster.

Gemeinnützige Krankenhäuser machen, genauso wenig wie Kitas und Pflegeheime in gemeinnütziger Trägerschaft, keine Gewinne, aus denen solche Investitionen getätigt werden könnten. Es ist schön, wenn ein Förderprojekt es ihnen erlaubt, Geld in die Hand zu nehmen. Aber ein 5-Jahres-Projekt reicht nicht aus – Klimafreundlichkeit und Nachhaltigkeit brauchen kontinuierliche Investitionsanstrengungen. Nachdem Klik Green ausgelaufen ist, wird auch im Franziskus-Hospital deutlich: Es braucht verlässliche Finanzierungsmodelle für die ökologische Transformation unserer Einrichtungen. Klimaschutz ist eine Daueraufgabe und mit einer einmaligen Förderung nicht erledigt. Klimafreundlichkeit muss integraler Bestandteil der wirtschaftlichen Betriebsführung sozialer Einrichtungen werden und in der Regelfinanzierung ebenso wie durch Sonder-Investitionsprogramme unterlegt werden.

Im Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung ist unter der Rubrik „Gesundheitswesen“ von Good-Practice-Beispielen, von Vernetzung der Akteure, von Studien und Gutachten zu lesen. Wir unterstützen diesen Ansatz im Deutschen Caritasverband aus Überzeugung – Vernetzung ist unsere Kernkompetenz seit 125 Jahren. Dass aber von Finanzierung der Vernetzungsanstrengungen und von Förderung der Skalierung der Good Practices nicht die Rede ist, beunruhigt uns sehr. Allein über die Lektüre von Studien und Gutachten werden keine Solarpanele angebracht, wird keine Wärmedämmung finanziert.

Für die Investitionskosten der Krankenhäuser müssen die Bundesländer aufkommen, so legt es das Gesetz fest. Dieser Aufgabe kommen sie aber mit wenig Eifer nach: Im Jahr 2020 lag der Investitionsbedarf der Krankenhäuser bei mehr als sechs Milliarden Euro, die Länder haben davon nur die Hälfte übernommen. Das lässt nichts Gutes ahnen für eine Zukunft, in der Milliardenbeträge allein für die ökologische Transformation des Gesundheitswesens benötigt werden.

Die Einrichtungen der Caritas – bei weitem nicht nur die Krankenhäuser – haben sich auf den Weg gemacht in eine CO2-arme Zukunft. Damit Deutschland seinen Beitrag zur CO2-Reduzierung verlässlich leistet, sollten Bund und Länder sich zeitnah über die nachhaltige finanzielle Förderung der Energiesparanstrengungen in der Sozialwirtschaft verständigen. An Umsetzungspartnern fehlt es in der Caritas nicht. Das Beispiel des Franziskus-Krankenhauses hat sich längst herumgesprochen, Nachahmer stehen für einen sozialen Green Deal überall bereit.


Dieser Text ist am 15. Juni 2022 im  Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health erschienen. Mehr unter: https://background.tagesspiegel.de/gesundheit